Wieviel arbeitest Du als Associate in einer Großkanzlei? Ich habe selbst durch meine Arbeit als Anwalt, Referendar und Praktikant insgesamt fünf verschiedene Großkanzleien kennengelernt. Viele meiner Freunde arbeiten noch heute in den verschiedensten Großkanzleien. Daher meine ich, die Frage gut beantworten zu können.

Die Arbeitszeiten von Rechtsanwälten in einer Großkanzlei liegen zwischen ca. 45 Stunden und 90 Wochenstunden, abhängig von momentaner Auslastung, Kanzlei, Team und Rechtsgebiet. Es gibt selten auch kurze Phasen, in denen gar nichts zu tun ist.

Direkt nach dieser Pauschalaussage aber gleich eine Warnung:

Vorsicht beim Interpretieren von Stundenzahlen. Im Internet und in Fachzeitschriften schwirren verschiedenste Stundenzahlen als Wochenarbeitszeiten in Großkanzleien herum, bei denen völlig unklar ist, was eigentlich gemeint ist. Lass uns deshalb zuerst klarstellen, was ich mit Arbeitsstunden hier eigentlich meine.

Was heißt „Arbeitsstunden“?

  • Billable hours, also Stunden, die dem Mandanten in Rechnung gestellt werden?
  • Stunden, die der Anwalt auf seinen Stundenzettel schreibt, also z.B. einschließlich solcher Tätigkeiten, die der Partner dem Mandanten später nicht in Rechnung stellt, und einschließlich Fortbildung, Ausbildung von Referendaren, Akquisetätigkeit etc?
  • Oder Anwesenheitszeit abzüglich der Mittagspausen?

Je nach Geschäftsmodell der Kanzlei und konkreter Aufgabenstellung des jeweiligen Anwalts können 40 billable hours schon mal 70 Stunden Anwesenheit bedeuten. Die Stundenzahl ist deshalb ziemlich ohne Aussagekraft, wenn nicht klar ist, worauf sie sich bezieht.

Wenn ich oben schreibe, die Arbeitszeiten in der Großkanzel variieren von ca. 45 Stunden bis 90 Stunden pro Woche, dann meine ich Anwesenheitszeiten ohne Mittagspausen bei einem Vollzeitarbeitszeitmodell.

Außerdem rede ich nicht von der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit, sondern von einzelnen Wochen. 90 Stunden pro Woche arbeitet man jedenfalls in Deutschland in keiner Großkanzlei im Durchschnitt. Das bezieht sich auf Spitzenzeiten mit besonders hoher Auslastung.

Die durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden in Großkanzleien dürften eher zwischen 47 und 65 Stunden Wochenstunden liegen.

Jetzt ist das also schonmal geklärt. Trotzdem hilft Dir die Spanne von 45 bis 90 Stunden wahrscheinlich nur recht begrenzt weiter. Für viele sind 45 Stunden pro Woche total super, 90 aber entschieden zu viel. Lass uns also genauer anschauen, welche Faktoren Deine Arbeitszeiten vor allem als Associate in einer Großkanzlei beeinflussen.

Arbeitszeitenfaktor 1: Die konkrete Großkanzlei

In welcher konkreten Großkanzlei Du anfängst, hat erheblichen Einfluss auf Deine Arbeitszeiten.

Ranking der Kanzlei

Als erste Richtlinie gilt dabei: In Tier 1 Kanzleien arbeitest Du mehr als in Tier 3 Kanzleien. Einen ersten Indikator für die Arbeitszeiten in einer konkreten Großkanzlei kann Dir also ihre Position in den einschlägigen Rankings geben.

Gehalt

Auch das Gehalt kann ein Hinweis sein. Oft (nicht immer!) muss man für mehr Geld auch mehr arbeiten.

Beide diese Indikatoren sind aber nicht wahnsinnig zuverlässig. Ich kenne auch Associates in sehr guten Kanzleien mit sehr guten Gehältern die moderat arbeiten. Und ich kenne Associates in weniger renommierten Kanzleien mit weniger guten Gehältern, die sehr viel arbeiten…

Umsatz pro Berufsträger

Einen präziseren Indikator für die Arbeitszeiten in einer konkreten Großkanzlei kann Dir der Umsatz pro Berufsträger geben. Das gilt vor allem dann, wenn Du eine Idee von den Stundensätzen und dem Leverage, also der Zahl der Associates pro Partner, hast (Leverage und Umsatz pro Berufsträger findest Du oft in Ranking Listen veröffentlicht, Stundensätze sind eher nur über persönliche Kontakte und „word of mouth“ herauszufinden).

Wenn eine Kanzlei einen relativ niedrigen Umsatz pro Berufsträger hat, einen niedrigen Leverage und hohe Stundensätze, dann werden dort scheinbar wenige abrechenbare Stunden produziert.

Woraus folgt das?

  1. Die Kanzlei hat hohe Stundensätze, erreicht aber trotzdem nur einen niedrigen Umsatz pro Berufsträger, d.h. die abgerechnete Stundenzahl pro Berufsträger kann nicht hoch sein.
  2. Partner sind pro Stunde teurer als Associates, d.h. der hohe Umsatz speist sich bei einem niedrigen Leverage zu einem größeren Teil aus den teureren Partnerstunden. Das wiederum heißt, dass die Stundenzahl noch niedriger sein muss, um auf einen so niedrigen Umsatz pro Berufsträger zu kommen.

Wenn eine Großkanzlei umgekehrt keine so hohen Stundensätze, einen hohen Leverage und einen hohen Umsatz pro Berufsträger hat, dann weißt Du, dass der hohe Umsatz durch viele billige Associate-Stunden erzielt wurde. Und die Associates also entsprechend viel gearbeitet haben.

Arbeitszeitenfaktor 2: Das Rechtsgebiet

Auch innerhalb derselben Kanzlei können sich die Arbeitszeiten aber drastisch unterscheiden, je nach dem, in welchem Rechtsgebiet Du arbeitest.

Tendenziell wird im M&A Bereich besonders viel gearbeitet. In anderen Bereichen, wie z.B. Litigation, Datenschutz, IT-Recht, öffentliches Recht oder in der laufenden gesellschaftsrechtlichen Beratung sind die Arbeitszeiten meist moderater und vor allem regelmäßiger und besser planbar.

Im Transaktionsgeschäft hast Du außerdem insgesamt mehr Spikes mit extrem hoher Arbeitsbelastung als in anderen Rechtsgebieten. Dafür gibt es aber auch eher einmal Lücken, in denen gar nichts zu tun ist.

Außerdem kannst Du im M&A tendenziell noch mehr verdienen als in anderen Bereichen (die absoluten Spitzenzahler in den Großkanzleien haben oft einen ganz deutlichen M&A-Schwerpunkt) und jedenfalls in der Vergangenheit war es im M&A in manchen Kanzleien etwas leichter, Partner zu werden, weil hier am meisten Geld verdient wurde.

Arbeitszeitenfaktor 3: Das Team

Auch innerhalb eines Rechtsgebiets und einer Kanzlei kann es zwischen zwei verschiedenen Teams (lies: Partnern) spürbare Unterschiede in der Arbeitsbelastung geben. Das kann viele Gründe haben:

  • Die Mandatsstruktur kann anders sein. Wenn z.B. in einem Team viel mit US-Bezug gearbeitet wird, werden am Abend häufiger noch Anfragen eintrudeln.
  • Vielleicht ist der eine Partner von einem oder zwei wenigen Hauptmandanten besonders abhängig und möchte für diese deshalb einen ganz extremen Service erbringen – der andere Partner hat viele Mandanten und sagt eher mal „nein, bis morgen schaffen wir das nicht“.
  • Ein Partner hat insgesamt eine größere Mandatsauslastung als ein anderer.
  • Der eine Partner organisiert die Mandate besser als ein anderer.
  • Ein Partner hat ein größeres Team als ein anderer, so dass die Arbeit auf mehr Köpfe verteilt werden kann.
  • Ein Partner achtet auf die Arbeitszeiten seiner Associates mehr als ein anderer und bemüht sich aktiver, einen angemessenen Ausgleich zu schaffen.
  • Manche Mandanten sind, was die Dienstleistungsmentalität ihrer Anwälte angeht, anspruchsvoller als andere.

Arbeitszeitenfaktor 4: Die momentane Auslastung

In jeder Kanzlei und in jedem Team schwankt die Auslastung. Es gibt Monate, in denen sehr viel zu tun ist und Monate, in denen sehr wenig zu tun ist. Ich habe auch schon ganze Wochen erlebt, in denen nahezu überhaupt nichts zu tun war.

Arbeitszeitenfaktor 5: Du

Zu guter Letzt hängt die Arbeitszeit auch vom Associate selbst ab.

  • Wie perfektionistisch bist Du?
  • Wie einsatzwillig bist Du?
  • Wie gut bist Du darin, „nein“ zu sagen und Grenzen zu setzen? Ein Associate hat mir einmal erzählt, dass seine Arbeitsbelastung ab dem zweiten Jahr deutlich gesunken ist, weil er sich ab da getraut hat, zum Partner auch mal zu sagen „nein, das schaffe ich nicht.“
  • Wie effektiv arbeitest Du?
  • Vor allem für seniorere Associates, die Mandate selbstständig bearbeiten: Wie gut strukturierst Du Deine Mandate?

Beispiele

Zum Abschluss möchte ich Dir Beispiele geben, wie die Arbeitsbelastung in der Großkanzlei in konkreten Szenarien aussehen könnte. Bitte beachte, dass das Nachfolgende wirklich nur Beispiele sind und die tatsächlichen Arbeitszeiten erheblich abweichen können!

  • In einer Tier-3-Großkanzlei, in der Du IT-Litigation machst, wirst Du durchaus auch im Durchschnitt bei weniger als einer 50 Stunden-Woche landen können. Ich habe schon mehrfach Anwälte in solchen Kanzleien und Rechtsgebieten kennengelernt, für die ein normaler Arbeitstag von 9 bis 19 Uhr geht, mit einer Stunde Mittagspause. Auch diese Anwälte haben aber hin und wieder Hochzeiten, wo sie bis 23 Uhr im Büro sind.
  • In der Projektberatung (z.B. Bau von Solaranlagen oder Windparks) einer Tier-2-Großkanzlei könntest Du an normalen Tagen zum Beispiel von 9 bis 20 Uhr arbeiten, abzüglich einer Stunde Mittagspause. Die Hochzeiten sind hier ähnlich, vielleicht in seltenen Fällen auch mal bis nach Mitternacht. Ich kenne jedenfalls Kanzleien und Mitarbeiter, bei denen das so ist. Im Schnitt wärst Du damit bei ca. zwischen 50 und 55 Stunden pro Woche.
  • Im M&A einer Tier-1-Großkanzlei kann – je nach Kanzlei, Team etc. – ein normaler Arbeitstag auch von 9 bis 22 Uhr gehen und vereinzelt kann es passieren, dass Du eine Nacht komplett durchmachst. Im Schnitt kannst Du hier durchaus bei 60 – 65 Wochenstunden landen (Musst Du aber auch nicht, wie gesagt, hängt es immer von Kanzlei, Team, Mandanten und Dir selbst ab.).

Sind die Arbeitszeiten in der Großkanzlei das Richtige für Dich?

Du siehst also, die Arbeitsauslastung in Großkanzleien hängt von vielen Faktoren ab und kann sehr unterschiedlich sein. Wenn Dir die Arbeitsbelastung wichtig ist, solltest du deshalb im Vorfeld Deiner Bewerbung gründlich recherchieren, im Bewerbungsgespräch, auch bei Associates der entsprechenden Kanzlei, aktiv danach fragen und später während Deiner Zeit als Anwalt an Dir selbst arbeiten, um das für Dich optimale Maß zu erreichen.

Wenn Du unsicher bist, ob die Arbeitszeiten in der Großkanzlei das Richtige für Dich sind, würde ich sagen: Probier es im Zweifel einfach aus.

Aus der Großkanzlei weg und in einen anderen Job kann man eigentlich immer.

Bevor man das erste Mal solche Zeiten gearbeitet hat, weiß man eigentlich gar nicht so genau, wie es ist. Viele haben große Skepsis vor den Arbeitszeiten, sind dann aber in einem tollen Team mit spannenden Mandaten und merken gar nicht, wie die Zeit verfliegt. Die ursprünglich gefürchteten Arbeitszeiten machen ihnen dann überhaupt nichts mehr aus.

Umgekehrt habe ich auch schon mit Juristen gesprochen, die in der Großkanzlei angefangen haben, und nach wenigen Monaten in eine Behörde mit 35 Stunden-Woche gewechselt sind, weil sie gemerkt haben, dass die Arbeitszeiten in der Großkanzlei nicht das Richtige für sie sind.

Auch unter dieser Gruppe habe ich aber noch nie jemanden getroffen, der es bereut hätte, in der Großkanzlei angefangen zu haben.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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