Die Drittschadensliquidation (DSL) ist eine im Gesetz nicht ausdrücklich geregelte Rechtsfigur, mit der bestimmte Haftungsprobleme in Dreipersonenverhältnissen gelöst werden können.

Wenn jemand gegenüber einem anderen eine vertragliche Pflichtverletzung oder eine Rechtsgutverletzung begeht, kann es vorkommen, dass aufgrund einer rechtlichen Beziehung des Verletzten zu einem Dritten ein Schaden bei diesem Dritten entsteht, nicht jedoch beim Verletzten. Da in Bezug auf den Dritten aber weder eine Pflicht- noch eine Rechtsgutverletzung vorliegt, droht dieser auf seinem (Dritt-)Schaden „sitzenzubleiben“.

Um eine unbillige Privilegierung des Schädigers zu vermeiden, ermöglicht die Drittschadensliquidation dem Verletzten, den Schaden des Dritten wie einen eigenen Schaden geltend zu machen (= zu liquidieren). Der Verletzte ist sodann verpflichtet, den neu gewonnen Anspruch an den Dritten abzutreten, sodass das letztlich gewünschte Ergebnis erreicht wird, dass der Geschädigte seinen Schaden vom Schädiger ersetzt bekommt.

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung der Drittschadensliquidation. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zur Drittschadensliquidation mit Definitionen.

Zunächst ein Kurzschema zur Drittschadensliquidation (DSL) ohne Definitionen:

A. Schadensersatzanspruch dem Grunde nach

B. Verletzter hat keinen Schaden

C. Geschädigter hat keinen Anspruch

D. Zufälligkeit der Schadensverlagerung

E. Rechtsfolgen

Sodann ein ausführliches Schema zur Drittschadensliquidation mit Definitionen und Klausurproblemen:

A. Schadensersatzanspruch dem Grunde nach

Im Ausgangspunkt muss immer feststehen, dass einem Gläubiger dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gegen einen Schädiger zusteht.1 Dabei ist es nicht von Belang, ob die Anspruchsgrundlage vertraglicher oder deliktischer Natur ist.

B. Verletzter hat keinen Schaden

Als nächstes ist festzustellen, dass der eigentlich zum Schadensersatz Berechtigte keinen Schaden erlitten hat.2

C. Geschädigter hat keinen Anspruch

Umgekehrt muss einer dritten Person ein Schaden entstanden sein, der aber selbst kein eigener Anspruch gegen den Schädiger zusteht.3

D. Zufälligkeit der Schadensverlagerung

Die Zufälligkeit der Schadensverlagerung ist schließlich das wertende Element, das die Ausnahme vom schadensrechtlichen Grundsatz des Gläubigerinteresses4 rechtfertigt. Die Ausnahme wird nach allgemeiner Auffassung in vier Fallgruppen für zulässig gehalten5:

I. Mittelbare Stellvertretung

Bei „mittelbarer Stellvertretung“ schließt der Geschäftsführer zwar für Rechnung des Geschäftsherrn, aber nicht in dessen Namen einen Vertrag. Deshalb wird – auch wenn Vertretungsmacht bestehen sollte – zumindest wegen § 164 Abs. 2 BGB nur der Geschäftsführer, nicht aber der Geschäftsherr Vertragspartei.

Wenn nun die andere Partei eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung begeht, entsteht deshalb der Anspruch dem Grunde nach nur beim Geschäftsführer. Allerdings wird er seinem Geschäftsherrn gegenüber in der Regel nicht für die Erfüllung des Vertrags einstehen müssen, sodass ein Schaden nur beim nicht am Vertrag beteiligten Geschäftsherrn eintritt.

Da das rechtliche Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn nicht dazu führen soll, dass der Vertragspartner von jedweder Haftung befreit wird, hat die Rechtsprechung die mittelbare Stellvertretung als Fallgruppe anerkannt.6

  • Achtung: Bei dieser Fallgruppe ist genau zu prüfen, ob der Geschäftsführer seinem Geschäftsherrn gegenüber tatsächlich nicht haftbar ist. Wenn z. B. ein Vertreter seine Vertretungsmacht eigentlich offenlegen sollte und dies absprachewidrig unterlässt, kann er sich gegenüber dem Geschäftsherrn selbst schadensersatzpflichtig machen. Diese Schadensersatzpflicht ist dann ein eigener Schaden, den der Geschäftsführer gegenüber dem Vertragspartner geltend machen kann, sodass insoweit die Drittschadensliquidation nicht anwendbar ist.

II. Obligatorische Gefahrentlastung

Die obligatorische Gefahrentlastung kann in einigen Schuldverhältnissen dazu führen, dass der Untergang oder die Beschädigung eines Gegenstandes zu Lasten einer Partei geht, obwohl der Gegenstand rechtlich der anderen Partei gehört. Die wichtigsten Anwendungsfälle sind § 447 BGB beim Kaufvertrag und § 644 BGB beim Werkvertrag.

1. Drittschadensliquidation beim Versendungskauf

§ 447 BGB überträgt beim Versendungskauf die Preisgefahr auf den Käufer, sobald der Verkäufer die Kaufsache der zur Ausführung der Versendung bestimmten Person übergeben hat. In aller Regel bleibt der Verkäufer jedoch bis zur Übergabe an den Käufer Eigentümer der Kaufsache.

Wird die Sache nun unterwegs beschädigt, kann deshalb nur der Verkäufer Ansprüche aus Eigentumsverletzung herleiten. Da er wegen § 447 BGB seinen Anspruch auf die Gegenleistung behält, liegt der Schaden nicht bei ihm, sondern beim Käufer.7

  • Achtung: Handelt der Transporteur gewerblich, wird zwischen Verkäufer und Frachtführer in der Regel ein Frachtvertrag gem. §§ 407 ff. HGB bestehen. Soweit dann der Käufer als Empfänger gem. § 421 HGB Ansprüche aus dem Frachtvertrag selbst geltend machen kann, ist kein Raum mehr für die Drittschadensliquidation.8 Das führt dazu, dass die Drittschadensliquidation beim Versendungskauf nur noch in Ausnahmefällen anzuwenden ist (etwa, wenn eine Privatperson die Ausführung der Versendung übernimmt).

2. Drittschadensliquidation beim Werkvertrag

§ 644 BGB sorgt beim Werkvertrag dafür, dass der Unternehmer die Leistungsgefahr bis zur Abnahme des Werkes trägt. Ist nun das Werk an einer Sache des Bestellers herzustellen (z. B. Reparaturarbeiten an einem Haus) und wird diese Sache von einem Dritten beschädigt, kann der Besteller die Herstellung des Werkes weiterhin verlangen und erleidet insoweit keinen Schaden.

Andererseits hat der geschädigte Unternehmer keinen eigenen Anspruch, weil die beschädigte Sache nicht in seinem Eigentum steht. Es erscheint deshalb angemessen, dass der Besteller den Schaden des Unternehmers beim Schädiger liquidieren kann.9

III. Obhutsfälle

Die zufällige Schadensverlagerung ist weiter in den sogenannten Obhutsfällen zu bejahen: Vertraut jemand eine ihm nicht gehörende Sache der Obhut eines Vertragspartners an und beschädigt der Vertragspartner die Sache, müsste der Eigentümer regelmäßig auf das Deliktsrecht verwiesen werden.

Dies würde ihn vor allem wegen der fehlenden Beweislastumkehr aus § 280 Abs. 1 S. 2 BGB und wegen der Nichtanwendbarkeit des § 278 BGB benachteiligen.

Das klassische Beispiel ist der „Schleppboot-Fall“:10 A vermietet B einen Kahn. B lässt den Kahn vom Unternehmen C abschleppen, wobei der Kapitän K den Kahn beschädigt. Ohne die Drittschadensliquidatio könnte A sich nicht bei C schadlos halten, wenn C sich in Bezug auf K gem. § 831 Abs. 1 S. 2 BGB exkulpieren kann.

  • Achtung: Bei Obhutsfällen kommt häufig auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht.11 Da dieser der Drittschadensliquidation vorgeht (siehe unten), sollte er in diesen Fällen stets zuvor geprüft werden.

IV. Treuhandverhältnisse

In Treuhandverhältnissen kann eine den Obhutsverhältnissen ähnliche Situation eintreten: Tritt ein Zedent eine Forderung sicherungshalber an einen Zessionar ab und gerät der Schuldner in Verzug, tritt der Verzugsschaden nur beim Zedenten ein, soweit dieser seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Zessionar bedient und die Forderung deshalb nicht eingezogen wird.

Über die Drittschadensliquidation kann der Zessionar dann den „Zedentenschaden“ liquidieren.12

V. Weitere Fälle

Die aufgezählten Fallgruppen sind nur die häufigsten Erscheinungsformen der Drittschadensliquidation und nicht abschließend zu verstehen.

Es sind darüber hinaus auch weitere Fälle denkbar, in denen eine zufällige Schadensverlagerung vorliegt und die Drittschadensliquidation deshalb Anwendung findet.13 Häufig werden Fälle aber auch anders, z. B. über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, zu lösen sein.

E. Rechtsfolgen

Auf Rechtsfolgenseite bewirkt die Drittschadensliquidation, dass der Verletzte, nicht aber der geschädigte Dritte den Schaden des Dritten wie einen eigenen Schaden beim Schädiger liquidieren kann. Der Verletzte wird sodann aber aus seinem Innenverhältnis zum Dritten zur Abtretung des Anspruchs an diesen verpflichtet sein.14

Unterschied zwischen Drittschadensliquidation und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

Abschließend sei noch einmal auf das Verhältnis der Drittschadensliquidation zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (VSD) eingegangen:15

Beiden Rechtsfiguren ist gemein, dass sie die nach vertraglichen Grundsätzen erfolgende Schadloshaltung einer Person ermöglichen, die am vertraglichen Leistungsaustausch nicht beteiligt ist.

Der wichtige Unterschied liegt aber darin, dass der Geschädigte durch den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in den Schutzbereich des Vertrag einbezogen wird und deshalb einen eigenen Anspruch zur Geltendmachung seines Schadens erhält.

Bei der Drittschadensliquidation hingegen bleibt der Dritte außerhalb des Vertragsverhältnisses und erhält seinen Schaden „übers Eck“ ersetzt, weil der Anspruch zunächst nur dem Verletzten zusteht und lediglich an den Dritten abgetreten wird.

  • Daraus folgt, dass der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter immer vor der Drittschadensliquidation zu prüfen ist: Besteht nämlich ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hat der Geschädigte einen eigenen Anspruch, sodass Prüfungspunkt C. des obigen Prüfungsschemas nicht erfüllt ist.
  • Als Faustformel kann man sich merken: Die Drittschadensliquidation „zieht“ den Schaden zum Anspruch, der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter „zieht“ den Anspruch zum Schaden.

Das Prüfungsschema zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter findest du hier.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zur Drittschadensliquidation hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 249 Rn. 367.
  2. vgl. BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 249 Rn. 367.
  3. vgl. BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 249 Rn. 367.
  4. vgl. BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 249 Rn. 358.
  5. vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 249 Rn. 296 ff.; BeckOK BGB, 56. Edition 2020, § 249 Rn. 368.
  6. BGH, Urteil vom 08.12.1986 – II ZR 2/86 (Karlsruhe).
  7. vgl. Schulze BGB, 10. Auflage 2019, Vorb §§ 249-253 Rn. 29.
  8. Schulze BGB, 10. Auflage 2019, Vorb §§ 249-253 Rn. 29.
  9. vgl. BGH, Urteil vom 30.9.1969 – VI ZR 254/67 (Braunschweig).
  10. RGZ 93, 39.
  11. vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 249 Rn. 305.
  12. BGH Az.: III ZR 174/93.
  13. dazu MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 249 Rn. 290.
  14. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 249 Rn. 294.
  15. vgl. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 249 Rn. 292.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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