Ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo (c.i.c.) ist ein Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung von Rücksichtnahmepflichten vor Vertragsschluss. Anspruchsgrundlage sind §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB.

Der Gedanke hinter der culpa in contrahendo ist, dass schon mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen erhöhte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter eines potenziellen Vertragspartners entstehen und daher auch zu diesem Zeitpunkt schon Rücksichtnahmepflichten zu beachten sind.

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung der culpa in contrahendo. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zur culpa in contrahendo mit Klausurproblemen

Zunächst ein Kurzschema zur culpa in contrahendo für den ersten Überblick:

A. Anwendbarkeit der c.i.c.

B. Voraussetzungen der c.i.c.

I. Schuldverhältnis i.S.v. § 311 Abs. 2 BGB

1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. Nr. 1 BGB

2. Anbahnung eines Vertrages, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB

3. Ähnliche geschäftliche Kontakte, § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB 

II. Pflichtverletzung vor Zustandekommen des Vertrages, § 241 Abs. 2 BGB 

III. Vertretenmüssen

IV. Rechtsfolge: Schadensersatz, §§ 280 Abs. 1, 249 BGB

Sodann ein ausführliches Schema zur culpa in contrahendo mit Erläuterungen und Klausurproblemen:

A. Anwendbarkeit der c.i.c.

Die Gewährleistungsrechte der §§ 437 ff., 634 ff. und 536 ff. BGB sperren die c.i.c. (außer bei Vorsatz).1

§ 311 a Abs. 2 BGB (Haftung wegen anfänglicher Unmöglichkeit) verdrängt die culpa in contrahendo.2

Klausurproblem: Verdrängung der c.i.c. durch § 123 Abs. 1 BGB?

  • h.M.: keine Verdrängung, da die c.i.c. allein das Vermögen schütze, § 123 Abs. 1 BGB hingegen den freien Willen.3
  • Minderansicht: Verdrängung der c.i.c., da sonst Unterlaufen des Erfordernisses der vorsätzlichen Täuschung des § 123 Abs. 1 BGB und der Jahresfrist des § 124 BGB.4

B. Voraussetzungen der c.i.c.

I. Schuldverhältnis i.S.v § 311 Abs. 2 BGB

§ 311 Abs. 2 BGB nennt die Fallgruppen, in denen ein vorvertragliches Schuldverhältnis entstehen kann. Ein vorvertragliches Schuldverhältnis ist ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten, aber mit Verhaltenspflichten nach § 241 Abs. 2 BGB.5

1. Aufnahme von Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. Nr. 1 BGB

Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen umfasst alle Formen rechtsgeschäftlicher Kontakte einschließlich bloßer Vorgespräche zu einem beabsichtigten Vertragsabschluss.6 Sie ist spezieller als die Anbahnung eines Vertrags nach § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB, da Vertragsverhandlungen stets eine Vertragsanbahnung vorausgeht.7

Die Aufnahme von Vertragsverhandlungen ist eine Realakt. Die Abgabe von Willenserklärungen ist nicht erforderlich.8 Eine einseitige Kontaktaufnahme genügt allerdings nicht.9

2. Anbahnung eines Vertrages, § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB 

Bei der Anbahnung eines Vertrages handelt es sich um den Grundtatbestand der gesetzlichen Regelung, der weit auszulegen ist.10

Es genügen auch unverbindliche Gespräche, die Abgabe eines Angebots oder ein bloßer Informationsbesuch.11

Über die Vertragsanbahnung hinaus ist nach dem Wortlaut des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB , dass der eine Teil dem anderen die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut.

Von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB sind unter anderem folgende Fälle umfasst:

  • Betreten eines Geschäftslokals durch einen potenziellen Kunden12
  • Zusendung unbestellter Waren außerhalb des Anwendungsbereichs von § 241a BGB, also insbesondere im Verhältnis zwischen Unternehmern oder zwischen Privatpersonen13
  • Beteiligung an einem Ausschreibungsverfahren nach VOB/A oder VOL/A14


3. Ähnliche geschäftliche Kontakte, § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB 

Die Fallgruppe der ähnlichen geschäftlichen Kontakte ist ein Auffangtatbestand, der darauf hinweist, dass die in Nr. 1 und 2 genannten Fälle nicht abschließend sind.15

Erforderlich ist ein besonderes Vertrauensverhältnis.16

Einzelne Fallgruppen des § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB:

  • Ein mit dem wahren Schuldner verflochtenes Unternehmen erweckt den Eindruck, selbst Schuldner zu sein und veranlasst dadurch den Gläubiger zu Vermögensdispositionen.17
  • Hinweispflichten eines zur Tätigung von Investitionen eingeschalteten Geschäftsbesorgers, wenn der Geschäftsbesorgungsvertrag unwirksam ist.18
  • Die c.i.c. kann mit einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kombiniert werden. Klassisches Beispiel ist der Gemüseblattfall, bei dem eine Mutter mit ihrer Tochter in den Supermarkt ging und die Tochter an der Kasse – vor Vertragsschluss – auf einem Gemüseblatt ausrutschte und sich verletzte.19 In der Klausur bietet es sich an, diese Fälle unter § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB einzuordnen. Zwingend ist dies jedoch nicht.

II. Pflichtverletzung vor Zustandekommen des Vertrages, § 241 Abs. 2 BGB 

Vor Zustandekommen des Vertrages muss eine Schutzpflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB verletzt worden sein. Umfang und Inhalt vorvertraglicher Schutzpflichten sind nicht einheitlich für alle Schuldverhältnisse bestimmbar. Sie hängen vom Zweck des Schuldverhältnisses, der Verkehrssitte und den Anforderungen des redlichen Geschäftsverkehrs ab.20

Wenn Du beurteilen musst, ob eine bestimmte Schutzpflicht besteht, solltest du den Hintergrund der Haftung aus c.i.c. berücksichtigen: Der Grund für die Eröffnung vorvertraglicher Haftung ist, dass dem potenziellen Vertragspartner die Möglichkeit zur Einwirkung auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils gewährt wird.21

Anerkannte Fallgruppen sind:

  • Verkehrssicherungspflichten22
  • Obhutspflichten23
  • Aufklärungs- und Informationspflichten24

III. Vertretenmüssen

Der Schuldner muss die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben, wobei das Vertretenmüssen nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet wird.

Entsprechend den allgemeinen Regeln haftet der Schuldner für vorsätzliches und fahrlässiges Verhalten, § 276 Abs. 1 BGB. Außerdem muss der Schuldner nach § 278 BGB auch für seine Erfüllungsgehilfen einstehen.

Bei vorvertraglichem Verschulden eines Vertreters ohne Vertretungsmacht haftet der Schuldner, wenn er den Vertragsabschluss nachträglich genehmigt.25

IV. Rechtsfolge: Schadensersatz, §§ 280 Abs. 1, 249 BGB

Der Schuldner hat nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB den aus der vorvertraglichen Pflichtverletzung resultierenden Schaden zu ersetzen. Der andere Teil ist nach § 249 BGB so zu stellen, wie er stünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zur culpa in contrahendo hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern. 

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Quellennachweise:

  1. Zum Kaufrecht: BGH, Urt. v. 30. 11. 2012, Az. V ZR 25/12, zum Mietrecht: BGH, Urt. v. 18.06.1997, Az. XII ZR 192/95, zum Werkvertragsrecht: Lorenz, in JuS 2015, 398.
  2. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311a Rn. 21.
  3. BGH, Urt. v. 26.09.1997, Az. V ZR 29/96. Lorenz, in JuS 2015, 398.
  4. Zu den Argumenten Lorenz, in JuS 2015, 398.
  5. Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 311 BGB Rn. 34.
  6. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311 BGB Rn. 43.
  7. vgl. BeckOK BGB, 56. Auflage 2020, § 311 BGB Rn. 46.
  8. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311 BGB Rn. 43.
  9. Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 311 BGB Rn. 43.
  10. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311 BGB Rn. 45.
  11. BeckOK BGB, 56. Auflage 2020, § 311 BGB Rn. 48.
  12. (vgl. BGH, Urteil vom 14.3.2013, Az. III ZR 296/11.
  13. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311 BGB Rn. 47.
  14. BGH, Urteil vom 9.6.2011, Az. X ZR 143/10.
  15. vgl. BT-Drs. 14/6040, 163.
  16. Jauernig, BGB, 18. Auflage 2021, § 311 BGB Rn. 45; BGH, Urteil vom 20.3.2001, Az. X ZR 63/99.
  17. BGH, Urteil vom 20.3.2001, Az. X ZR 63/99.
  18. BGH, Urteil vom 28.7.2005, Az. III ZR 290/04.
  19. BGH, Urteil vom 28.1.1976, Az. VIII ZR 246/74.
  20. vgl. BGH, Urteil vom 30.09.2009, Az. VIII ZR 238/08.
  21. MüKo BGB, 8. Auflage 2019, § 311 BGB Rn. 47.
  22. vgl. BGH, Urteil vom 14.3.2013, Az. III ZR 296/11.
  23. vgl. den „Linoleumrollenfall“ des Reichsgerichts vom 7.12.1911, Az. Rep. VI. 240/11 sowie den „Salatblattfall“ des BGH, Urteil vom 28.1.1976, Az. VIII ZR 246/74.
  24. vgl. u.a. BGH, Urteil vom 6.6.1995, Az. VIII ZR 192/94.
  25. BGH, Urteil vom 7.5.1998, Az. III ZR 268/96.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in Großkanzleien gearbeitet. Heute ist er Syndikusrechtsanwalt in einem DAX-Konzern.

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