Der Herausgabenspruch des Besitzers wegen der Entziehung des Besitzes ist in § 861 BGB geregelt. Diesen Anspruch nennt man auch possessorischen Anspruch, da er an den Besitz als solchen und nicht an ein Recht zum Besitz anknüpft.

Im Folgenden zeige ich Dir zuerst ein Kurzschema für den ersten Überblick über die Prüfung des possessorischen Herausgabeanspruchs aus § 861 BGB. Darunter findest Du dann ein ausführliches Prüfungsschema zum Herausgabeanspruch wegen Besitzentziehung mit Erläuterungen und Klausurproblemen.

Zunächst ein Kurzschema zu § 861 BGB für den ersten Überblick:

I. Früherer Besitz des Anspruchstellers

II. Anspruchsgegner ist Besitzer

1. Besitzentzug vom unmittelbaren Besitzer

2. Eigenmacht

3. Keine Rechtsfertigungsgründe

III. Entzug des unmittelbaren Besitzes durch verbotene Eigenmacht

IV. Fehlerhaftigkeit des Besitzes

V. Kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB

VI. Kein Erlöschen nach § 864 BGB

VII. Rechtsfolge: Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes

Ausführliches Schema zum Anspruch aus § 861 BGB mit Erläuterungen und Klausurproblemen:

I. Früherer Besitz des Anspruchstellers

Der Anspruchsteller muss unmittelbarer Besitzer (§ 854 Abs. 1 BGB) oder mittelbarer Besitzer (§ 861 BGB) der Sache gewesen sein (Im Falle des mittelbaren Besitzers ergibt sich der Anspruch i.V.m. § 869 BGB, mehr dazu unten bei den Rechtsfolgen).

Der Besitzdiener kann den Anspruch nicht selbst geltend machen. Das folgt aus einem Umkehrschluss aus § 860 BGB 1.

II. Aktueller Besitz des Anspruchgegners

Der Anspruchsgegner muss unmittelbarer (§ 854 Abs. 1 BGB) oder mittelbarer (§ 868 BGB) Besitzer der Sache sein.

III. Entzug des unmittelbaren Besitzes durch verbotene Eigenmacht

1. Besitzentzug vom unmittelbaren Besitzer

Besitzentziehung ist der dauernde und vollständige Ausschluss von der tatsächlichen Sachherrschaft2.

Für eine verbotene Eigenmacht ist erforderlich, dass der Besitz dem unmittelbaren Besitzer entzogen wird3.

2. Eigenmacht

Die Besitzentziehung ist eigenmächtig, wenn sie ohne Einverständnis des Besitzers erfolgt4.

3. Keine Rechtfertigungsgründe

Keine verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn die Besitzentziehung gerechtfertigt war („sofern nicht das Gesetz die Entziehung oder die Störung gestattet“). Als Rechtfertigungsgründe kommen etwa in Betracht:

Wichtig: Herausgabeansprüche rechtfertigen nicht die eigenmächtige Besitzentziehung5, sondern müssen klageweise geltend gemacht werden.

IV. Fehlerhaftigkeit des Besitzes

Nach § 858 Abs. 2 BGB ist der durch verbotene Eigenmacht erlangte Besitz fehlerhaft.

  • Die Fehlerhaftigkeit wirkt auch gegenüber den Erben des fehlerhaften Besitzers, auch wenn sie keine Kenntnis von der verbotenen Eigenmacht haben, § 858 Abs. 2 S. 2 Var. 1 BGB.
  • Andere Besitznachfolger müssen die verbotene Eigenmacht nur gegen sich gelten lassen, wenn sie diese kannten, § 858 Abs. 2 S. 2 Var. 2 BGB.

Auch der Eigentümer einer Sache kann fehlerhaft besitzen, wenn er die Sache durch verbotene Eigenmacht erlangt hat6.

V. Kein Ausschluss nach § 861 Abs. 2 BGB

Der Herausgabeanspruch aus § 861 Abs. 1 BGB ist nach § 861 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, wenn

  • bereits der entzogene Besitz fehlerhaft war und
  • der Besitzer den Besitz im letzten Jahr vor der Entziehung erlangt hat.

VI. Kein Erlöschen nach § 864 BGB

Der Anspruch nach § 861 Abs. 1 BGB erlischt, wenn

  • die verbotene Eigenmacht länger als ein Jahr zurückliegt und nicht vorher Klage erhoben wurde, § 864 Abs. 1 BGB oder
  • das Besitzrecht des Täters der verbotenen Eigenmacht rechtskräftig festgestellt wird, § 864 Abs. 2 BGB.

VII. Rechtsfolge: Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes

Der Herausgabeanspruch wegen Besitzentziehung aus § 861 Abs. 1 BGB ist wie folgt ausgeformt:

  • Der Anspruch ist auf Wiedereinräumung des Besitzes gerichtet, also auf Herausgabe an den bisherigen Besitzer.
  • Der Anspruchsgegner muss den Besitz so wiederherstellen, wie er vor der verbotenen Eigenmacht bestanden hat7.
  • Der Anspruch umfasst darüber hinaus weder Surrogate noch Nutzungen oder Schadensersatz8.
  • Wenn der Anspruchsteller mittelbarer Besitzer war, kann er nach § 869 BGB vorrangig Herausgabe an den Besitzmittler verlangen. Nur, wenn dieser den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will, kann der Anspruchsteller Herausgabe an sich selbst verlangen, § 869 S. 2 BGB.

Achtung:

Der fehlerhaft Besitzende kann grundsätzlich nicht einwenden, dass er zwischenzeitlich das Eigentum an der Sache erworben hat. Da es sich bei dem Anspruch aus § 861 BGB um einen possessorischen Herausgabeanspruch handelt, sind petitorische (aus dem Recht zum Besitz abgeleitete) Einwendungen unbeachtlich, § 863 BGB.

Schlusswort

Ich hoffe, Du fandest dieses Prüfungsschema zum Herausgabeanspruch aus § 861 BGB hilfreich. Wenn Du Verbesserungsvorschläge hast, lass es mich gerne wissen! Ich bin immer bemüht, die Inhalte auf Juratopia weiter zu verbessern.

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Quellennachweise:

  1. MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 861 BGB Rn. 3.
  2. BGH, Urteil vom 23. 11. 2007, Az.: LwZR 5/07.
  3. (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. 7. 1977, Az.: VIII ZR 277/75.
  4. BGH, Urteil vom 6. 7. 1977, Az.: VIII ZR 277/75.
  5. vgl. BGH, Urteil vom 27. 4. 1971, Az.: VI ZR 191/69; OLG Saarbrücken, Urteil vom 25.09.2005, Az.: 8 W 204/05 – 30.
  6. BGH, Urteil vom 28. 4. 1966, Az.: III ZR 24/65.
  7. (MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 861 BGB Rn. 6.)
  8. BGH, Urteil vom 21. 1. 1981, Az.: VIII ZR 41/80.

Artikel verfasst von: 

Lucas Kleinschmitt

Lucas ist Volljurist und Gründer von Juratopia. Nach Studium an der Bucerius Law School und Referendariat in Hamburg hat er einige Jahre als Anwalt in der Großkanzlei und als Syndikus in einem DAX-Konzern gearbeitet. Heute ist er General Counsel in einem IoT Startup.

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